Prof. Dr. Bernhard Waldenfels: Das Unsichtbare im Sichtbaren

Shownotes

„Etwas fällt mir auf – das ist die elementarste Erfahrung, die einfachste Beschreibung des Sehens“ Auf diese fundamentale Tatsache weist Waldenfels in seinem Vortrag hin. Das etwas auffällt, ist nicht Folge einer bewussten Entscheidung. Das geschieht, man selbst hat es nicht in der Hand. Ähnlich ist es mit den Gedanken: Die Gedanken beginnen mit einem „Einfall“. „Mit dem Einfall beginnt das Denken, nicht mit der Hypothese oder mit Drittmitteln oder Projekten. Einfälle sind nicht drittmittelfähig, ich kann nicht garantieren, dass ich im nächsten Jahr 50 neue Einfälle habe“, so Waldenfels mit einer kleinen Spitze gegen den routinierten Wissenschaftsbetrieb.

Waldenfels beschreibt das Sehen in dem so skizzierten Sinn als ein „Sehabenteuer“: Etwas fällt mir auf – das ist die elementarste Erfahrung und die einfachste, und ich antworte darauf. Wir entdecken dabei erst, was Sehen eigentlich ist. Es gibt so etwas wie ein „produktives Stolpern“, das verhindert, das alles im Gleichschritt bleibt. Jede Wahrnehmung ist immer zugleich auch Fremdwahrnehmung. Man sitzt nicht im übertragenen Sinne im Lehnstuhl und betrachtet die Welt. Wir sind immer schon in der Welt engagiert und dann gilt:„Die Fremderfahrung wird nur dann stark, wenn sie an etwas in mir selbst rührt.“

Die Fremderfahrung macht deutlich, dass wir bei der Wahrnehmung nicht bei uns selbst bleiben, sondern uns auf die Welt hin ausrichten. Die Welt ist immer auch das Unbekannte, das wir nur im Vollzug entdecken. Deshalb gibt es immer Unsichtbares im Sichtbaren, so Waldenfels. Hier ist die Phänomenologie, die Albert Camus als das „Wieder-Sehen-lernen“ beschrieben hat, mit den bildenden Künsten verwandt: Auch der Maler Paul Klee hat z. B. versucht, dieses sichtbare Unsichtbare in seiner Malerei zu vermitteln.„Das, was sich zeigt, ist immer zugleich mehr und anderes. Die Erfahrung weist über sich selbst hinaus“, so Waldenfels.

Die Ausführungen von Waldenfels zeigen, dass auch die alltägliche Wahrnehmung ganz und gar nicht trivial ist. Was die Wirklichkeit ist, ist immer wieder neu zu entdecken, oder anders gesagt: Der Wirklichkeit wohnt immer auch ein Geheimnis, etwas Unentdecktes, etwas Unsichtbares inne.

Zur Person: Professor Dr. Bernhard Waldenfels (geb. 1934) studierte Philosophie, Psychologie, klassische Philologie, Theologie und Geschichte in Bonn, Innsbruck, München und Paris und promovierte über "Das sokratische Fragen: Aporie, Elenchos, Anamnesis". Er war zuletzt von 1976 bis zu seiner Emeritierung 1999 Professor für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Waldenfels gilt als einer der wichtigsten Denker der gegenwärtigen deutschsprachigen Phänomenologie. Zentrale Themen seiner Forschung und seines Schreibens sind phänomenologische Studien. Er hat darüber hinaus über zentrale Texte von Husserl, Merleau-Ponty, Levinas, Ricœur, Derrida geforscht sowie Texte dieser Philosophen übersetzt und herausgegeben. Ihn beschäftigen insbesondere Probleme der Fremdheit und Andersheit, Lebens- und Geschichtszeit, Wahrnehmung und Bild. Mehr Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Waldenfels

Mehr über den Arbeitsbereich "Wissenschaftliche Moderne" an der Evangelischen Akademie im Rheinland: mensch-welt-gott.de

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